Zukunft Wasserstoff

Die umweltfreundliche Produktion und Nutzung von Wasserstoff im großen Stil ist noch Science Fiction. Doch an der Infrastruktur wird bereits fleißig gearbeitet.
Illustration: Patrick Suessle
Illustration: Patrick Suessle
Kai Kolwitz Redaktion

Es könnte sein, dass die energetische Zukunft gerade in Lingen an der Ems beginnt. Denn dort steht die Initiative „GET H2“ in den Startlöchern für ihr erstes Projekt: Unter dem Titel „GET H2 Nukleus“ soll dort eine Elektrolyseanlage entstehen, die mit Windenergie in großem Maßstab grünen Wasserstoff erzeugt. Der soll in Richtung Ruhrgebiet geleitet werden und dort von Abnehmern aus der Industrie verbraucht werden. So könnte der Wasserstoff aus dem Emsland als Grundstoff für die Produktion dienen oder als Energieträger.

„Nukleus“ heißt das Projekt deshalb, weil es die Keimzelle einer kommenden bundesweiten Infrastruktur für die Erzeugung und Verteilung von CO2-neutral erzeugtem Wasserstoff für die Verwendung in Industrie und Verkehr bilden soll. Angebunden werden sollen Produktionsstätten und Industriestandorte, auch die Voraussetzungen für ein Netz von Wasserstoff-Tankstellen für die Nutzung in Fahrzeugen ist mitgedacht. Beteiligt an Initiative und Projekt sind unter anderem die Stromversorger RWE und Uniper, große Wasserstoff-Verarbeiter wie BASF und Salzgitter AG und Leitungsbetreiber wie Nowega.

„Wir wollen bei Wasserstofftechnologien die Nummer eins in der Welt werden“, erklärte Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier erst Ende Mai. Zu diesem Termin veröffentlichten Wirtschafts- und Verkehrsministerium eine Liste von insgesamt 62 Projekten, die Bund und Länder in den kommenden Jahren mit mehr als acht Milliarden Euro fördern wollen. Insgesamt sollen damit Investitionen von rund 33 Milliarden Euro ausgelöst werden. Von den „GET H2“-Projekten finden sich gleich mehrere in der Liste mit den geförderten Vorhaben.

Bis 2050 will die Europäische Union klimaneutral werden. Mit „grünem“, also ohne die Freisetzung von CO2  erzeugtem Wasserstoff verbinden sich große Hoffnungen. Er könnte zum einen in Industrie und Verkehr fossile Brennstoffe ersetzen, etwa bei der Herstellung von Stahl oder Zement. Zum anderen wird Wasserstoff in großen Mengen als Grundstoff für die industrielle Produktion benötigt, etwa in Raffinerien oder der Düngemittelherstellung. Derzeit wird dieser Wasserstoff in der Regel noch aus Erdgas erzeugt - eine Umstellung auf die klimaneutrale Methode würde dafür sorgen, dass riesige Mengen CO2 nicht in die Atmosphäre gelangen.

„Die Industrie steht unter enormem Druck, ihre Emissionen zu senken“, beschreibt Dr. Simone Peter, die Präsidentin des Bundesverbands Erneuerbare Energien (BEE). „Grüner Wasserstoff und seine Folgeprodukte werden einen wichtigen Beitrag zur Minderung der Treibhausgasemissionen des Energiesystems leisten.“

Anlagen zur klimaneutralen Produktion des Gases mit einer Elektrolyseleistung von fünf Gigawatt sieht die deutsche Nationale Wasserstoffstrategie bis 2030 vor. Gut 100 Megawatt davon soll der Elektrolyseur in Lingen beisteuern, 100 weitere eine Anlage, die unter anderem Vattenfall, Mitsubishi und Shell gerade in Hamburg-Moorburg planen. Bevorzugte Standorte für die Wasserstoffproduktion sind solche, an denen einerseits viel regenerative Energien zur Verfügung stehen – in Deutschland ist das vor allem Windkraft – und andererseits die Wege zu den Verbrauchern kurz sind.

Denn Transport und Speicherung sind weitere große Themen beim Aufbau einer Wasserstoff-Infrastruktur. Wo das möglich ist, will man für den Transport bereits vorhandene Fernleitungen für Erdgas nutzen. Entweder, indem das klimaneutrale Gas dem fossilen beigemengt und am Ziel wieder abgeschieden wird. Oder, indem die Leitungen für die Weiterleitung von reinem Wasserstoff umgerüstet werden. Denn nicht jedes Material ist geeignet für dessen Transport, manche Metalle verspröden durch Wasserstoff. Auch für die Lagerung des Gases ruhen die Hoffnungen auf bisherigen Erdgas-Speichern, vor allem auf Kavernenspeichern, künstlich geschaffenen Hohlräumen in Salzstöcken.

Projekt „Green Octopus“

Nach dem Nukleus-Projekt will „GET H2“ die Infrastruktur Stück für Stück ausbauen: 2025 will man einen Leitungsabzweig Richtung Niederlande schaffen, danach einen in Richtung Niedersachsen. Andere Unternehmen arbeiten derweil an einem Transportweg von Rostock Richtung Sachsen und von dort nach Westen, wo er sich mit dem Oststrang des „GET H2“-Netzes verbinden soll – auch diese Projekte sind unter den von Bund und Ländern geförderten. Am Ende soll dann der „Green Octopus“ stehen, ein gemeinsames Leitungsnetz von Deutschland, Niederlanden, Belgien und Frankreich.

Würde alles so kommen, würde der Weg Richtung Wasserstoff-Wirtschaft wohl spätestens 2030 kaum noch umkehrbar sein. Viele wichtige Weichen wären dann gestellt. Beim BEE mahnt man allerdings, bei all der Euphorie das Thema Einsparung von Energie nicht zu vergessen und – wo möglich – regenerative Energien direkt zu nutzen, anstatt mit ihnen Wasserstoff zu produzieren. Außerdem brauche es deutlich mehr Anlagen, die Ökostrom produzieren, um genug grünen Wasserstoff herstellen zu können.

Kleine Farbenlehre

Grüner Wasserstoff

Wasserstoff lässt sich erzeugen, indem Wasser mit Hilfe von elektrischem Strom in seine Bestandteile Wasserstoff und Sauerstoff aufgeteilt wird. Von grünem Wasserstoff spricht man dann, wenn der verwendete Strom aus erneuerbaren Energien hergestellt wird.

Grauer Wasserstoff

Grauer Wasserstoff wird aus fossilen Brennstoffen produziert, in der Regel aus Erdgas. Dieses wird unter Hitzeeinwirkung in Wasserstoff und CO2 umgewandelt, wobei das CO2 in die Atmosphäre entweicht. Bei der Produktion einer Tonne Wasserstoff entstehen bei diesem Verfahren rund 10 Tonnen CO2.

Blauer Wasserstoff

Blauer Wasserstoff wird hergestellt wie grauer Wasserstoff, allerdings mit einem Unterschied: Das CO2 wird bei der Produktion abgeschieden und entweder gespeichert oder durch Weiterverarbeitung gebunden.

Türkiser Wasserstoff

Türkiser Wasserstoff wird durch die thermische Spaltung von Methan in einem Hochtemperaturreaktor hergestellt. Dabei entsteht kein Kohlendioxid, sondern Kohlenstoff in fester Form, der gespeichert werden kann.

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