Vom Glück des Wohnens

Viele haben die Corona-Lockdowns genutzt, um ihr Zuhause aufzumöbeln. Worauf wurde dabei Wert gelegt? Und wie befriedigend ist das Ergebnis? Welche Erfahrungen wurden mit Sanierungs-, Renovierungs- und Verschönerungsprojekten gemacht? Ein Streifzug.
Illustration: Anna Ruza
Illustration: Anna Ruza
Verena Mörath Redaktion

Der Kofferraum ist voll und jeder Millimeter ausgenutzt, um die Ernte der zweimonatigen Aktion „Ausmisten“ zum Recyclinghof zu bringen. Die Berlinerin Ingrid Lange verbrachte im ersten Lockdown, wie andere auch, ungewohnt viele Abende ohne Kino- oder Restaurantbesuche, ohne Kneipentreffen oder Geburtstagspartys, auch Sportstudio plus Saunagang fielen aus. Zudem war die Auftragslage der Eventmanagerin mau.


Genug Zeit hineinzugucken in die Schränke mit verstaubten Diakästen und Negativordnern, mit dem geerbten, nie benutzten Porzellan, mit ihren Heften aus der Grundschulzeit, mit Schachteln voller Lego und Puppen, noch die Babywäsche ihrer beiden fast erwachsenen Kinder. Gefühlt türmten sich alle nicht genutzten Dinge „so hoch auf wie der Mount Everest“, schildert Ingrid Lange, und auch, wie unwohl sie sich damit fühlte. Darum beschloss sie, alles noch einmal in die Hand zu nehmen, auszumisten, zu renovieren und die Wohnung neu zu gestalten. Zuerst die Küche, dann Bad, Flur und alle Zimmer. „Nach 15 Jahren“, meint sie, „war es Zeit für ein Refreshing und zwar schnell.“ Eilig aber darf man es in der Corona-Ära nicht haben auf dem Weg zum neuen Wohnglück. Erst einmal heißt es, sich in die lange Schlange von gemieteten Kleinlastern mit Sperrmüll vor dem Recyclinghof einzureihen, gesteuert von anderen Entrümpelungsinfizierten.

 

Hohes Umsatzplus im Heimwerkermarkt

 

„Ich war wohl nicht die einzige mit der Idee, meiner Wohnung ein neues Gewand zu schenken“, sagt die Berlinerin. Und hat damit Recht: Der Handelsverband Heimwerken, Bauen und Garten (BHB) klatschte nach dem ersten Lockdown in die Hände. Die Branche verzeichnete im dritten Quartal 2020 und im Vergleich zum Vorjahr ein Umsatzplus von 13,9 Prozent. Farben und Malerzubehör möbeln die Statistik mit einem Plus um 28,7 Prozent noch mehr auf.


Beliebt waren zudem Gartensortimente, klassische Heimwerkerartikel und Baumaterialien. Die Zahlen für das vierte  Quartal 2020 stehen noch aus, „bis zum zweiten Lockdown im Dezember hat sich die hohe Nachfrage stringent gehalten“, erklärt BHB-Pressesprecher Jörn Brüningholt, und BHB-Hauptgeschäftsführer Dr. Peter Wüst freut sich, dass Menschen aller Altersgruppen pandemiebedingt Lust „auf viele Sanierungs-, Renovierungs- und Verschönerungsprojekte“ bekommen haben und mit kreativem Potenzial ihre Do-it-Yourself-Projekte angegangen sind.


 Tatsächlich verzichten die meisten auf Handwerker, um sich vor Corona zu schützen, und versuchen sich lieber selbst als Baumeister. Obwohl diese ja in die Wohnung dürften. Gut, dass es für Anfänger Heimwerker-Videos wie Sand am Meer gibt: Ob Mini-Hochbeet für den Balkon oder die Küchenzeile, wie ist neuer Putz am besten an die Wände zu bringen – Anleitungen, Tipps und Tricks für die gelungene Renovierung oder das größere Bauprojekt gibt es reichlich. Wer sich jedoch lieber Expertise einkauft, kann sie auf „houzz.de“, der führenden Online-Plattform für Bau-, Einrichtungs- und Renovierungsprojekte, finden. Die Webseite ist dennoch ebenso gut geeignet für DIY-Fans: Es gibt unter den rund 20 Millionen Bildern von professionell gestalteten Innen- und Außenräumen reichlich Inspirationen umsonst.


Auch Ingrid Lange hat keinen professionellen Raumgestalter gesucht, aber auch nicht alles selbst erledigt. Sie hat einfach eine Malermeisterin, einen Tischler und einen Parkettverleger engagiert. Lediglich dem über 40 Jahre alten Holzregalen hat sie eigenhändig einen neuen Anstrich verpasst. Ganz und gar in DIY-Manier. „Das hat wirklich gut getan und Spaß gemacht“, so Lange, gerade mehr als Renovierungs- denn als Eventmanagerin tätig.

 

Garten als heilendes Refugium

 

„Gestaltung und Selbstwirksamkeit sind seelische Grundbedürfnisse. Gerade den eigenen Garten haben die Menschen im Lockdown als heilendes Refugium empfunden, in dem sie gegen ihre Ohnmacht anpflanzen konnten“, sagt Paul Bremer. Der Psychologe am Kölner Rheingold-Institut hat im Auftrag des BHB die Bedeutung und Funktion von Baumärkten und Gartencentern in Corona-Zeiten untersucht. In seinen Tiefeninterviews mit Befragten wurde deutlich, dass Baumärkte stimmungsaufhellend wirken. „Hier können sich Menschen mit Werkzeug für alle Lebenslagen ausrüsten, aktiv werden und bekommen das Gefühl, etwas Sinnvolles zu tun.“


Die Schließung der Baumärkte im Dezember ließ so manches Projekt stocken. Auch Ingrid Langes Küchenprojekt. Nun, nach einem Jahr von der Idee bis zur Einweihung der neuen Küche, schwärmt Ingrid Lange für ihre neue Kochoase. Vergessen ist die mühsame Zeit der Küchenumgestaltung, in der das Wohnzimmer zur Hälfte Küche werden und zusätzlich eine Ecke als Arbeitszimmer herhalten musste, für Homeschooling und Homeoffice.


„Die Wohnung ist in der Pandemie kein Showroom mehr für Gäste, sondern fast nur noch ein Ort des Lebens“, erklärt Professorin Sandra Bruns. Sie lehrt an der Detmolder Schule für Architektur und Innenarchitektur und arbeitet seit zehn Jahren schon in ihrem Innenarchitekturbüro „Atelier Raumfragen“. Nicht mehr das Repräsentieren ist wichtig, sondern die Frage: Wie gestalte ich mein Zuhause, wenn wir zu zweit, zu dritt oder mit noch mehr Leuten wochenlang aufeinander hängen? Sie beobachtet, dass während des zweiten Lockdowns viele Menschen sich einigeln und im Cocooning (engl. Verpuppung) für Gemütlichkeit sorgen würden.


Es sei wenig verwunderlich, so die Expertin, dass die Internationale Möbel- und Einrichtungsmesse für  2021 das Motto Homing 2.0 ausgerufen habe. „Denn in diesen Zeiten wird das Zuhause zum Schutzraum und spendet Geborgenheit.“ Auch das Zukunftsinstitut zeigt in seinem „Home Report 2021“ auf, wie sich unser Verständnis von einem guten Zuhause, ausgelöst durch die Pandemie, verändert hat.


Die Autorin des Home Reports 2021, Oona Horx-Strathern, benennt drei Wohntrends: Zuhause und Büro verschmelzen zu einem „Hoffice“, Balkone und Terassen erleben ein Revival durch „Romancing the Balcony“, und wir versuchen, uns das Hotel-Feeling nach Hause zu holen mit „Home Suite Home“.


Die Innenarchitektin Sandra Bruns sieht eine weitere Entwicklung: „Dadurch, dass wir gezwungen sind, uns so viel zu Hause aufzuhalten, fragen sich immer mehr Menschen, was sie um sich haben wollen, auf was sie verzichten können.“ Das Bewusstsein für seine Wohnumgebung wachse, aber auch neue Bedarfe würden entstehen durch den Lockdown. Zum Beispiel sei es für viele eine Herausforderung, Arbeit und Wohnen geschickt miteinander zu verschränken. „Dies zeigt, dass Wohnen immer eine Aktivität ist und kein Dauerzustand“, sagt Bruns.


Das kann Ingrid Lange durch ihre Erfahrung mit dem spontan gestalteten, flexiblen Wohn-Küchen-Arbeitsraum nur bestätigen. Von der kurzlebigen Rauminstallation ist nach der Fertigstellung der Küche ein Esstisch im Wohnzimmer geblieben. „Wir haben nach so vielen Jahren gemerkt, dass wir uns dort zum Essen und Zusammensitzen wohler fühlen als in der Küche“, lautet ihr Fazit.

 

Haushaltsgeräte sollen vernetzt sein – wirklich?

 

In der Studie des Zukunftsinstituts kann man lesen, dass sich ein Drittel der Städterinnen und Städter eine sogenannte Zero Touch Connectivity wünscht: Alle Haushaltsgeräte tauschen untereinander Informationen aus und sind durch Sprachbefehle zu bedienen. Jeder Vierte möchte von unterwegs über eine integrierte Kamera einen Blick in seinen Kühlschrank werfen.
Davon ist Ingrid Lange weit entfernt, ihr reicht der echte und entspannte Blick ins Tiefkühlfach. Sie ist glücklich damit, dass der neue Backofen besser ist als der alte. Vor allem ist sie froh, dass das zähe Warten in der Schlange vor dem Recyclinghof endlich ein Ende hat. 

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