Entspannter leben

Selbst produzierter Strom, Gemüse aus dem Garten, null Stress. Das Einfamilienhaus mit eigenem Garten fernab von der Großstadt ist die beste aller Welten. Wirklich?
Illustration: Anna Ruza
Illustration: Anna Ruza
Axel Novak Redaktion

Dieses Jahr kam der Frost passend: Wenn die Flüsse zufrieren und die Waldwege für Trecker und Laster passierbar werden, dann ist Holzzeit auf dem Land. Der Wald hallt wider vom Kreischen der Kettensägen und vom Ruckeln der Trecker. Und irgendwann steht der Holzverkäufer aus dem Dorf um halb acht Uhr morgens vor der Tür, hupt dreimal und kippt ein paar Schüttmeter Holz in den Garten: Buche, Eiche, Birke, passend zugesägt für Ofen und Kamin. Der ist nämlich bei vielen die wichtigste Wärmequelle im Haus auf dem Land, fernab der Großstadt.

 

Wegen ausgesetzter Präsenzpflicht der Kinder und grassierendem Homeoffice ist die ganze Familie dem Lockdown entflohen und im Winter nach Brandenburg gezogen. Das Haus stammt aus der Kaiserzeit. Obwohl nur Wochenend-Refugium, ist es mit moderner Technik ausgestattet und ganzjährig bewohnbar. Außerdem sinkt der CO2-Fußabdruck der vierköpfigen Familie entsprechend: Heizen mit Holz aus dem Umland ist gut fürs Klima, Solarthermie und Photovoltaik bringen außerdem Strom und Wärme in das neu gedämmte Gemäuer.

 

Ein Traum vom Landleben

 

Raus aufs Land, raus aus der Blase in der Stadt – das ist das Motto von immer mehr Menschen, die es sich beruflich und finanziell leisten können. Viele Städter träumen vom Leben auf dem Land. Die hohen Immobilienpreise drängen die Menschen zusätzlich aus der Stadt.


In Deutschland geht die Homeoffice-Nutzung mit längeren Distanzen zwischen Wohn- und Arbeitsort einher, bestätigt das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BIB). Es spricht vom Trend zur Suburbanisierung – einer Wanderungsbewegung aus den Innenstädten in die Randbezirke der Metropolen. „Weil vor allem Familien aus den Großstädten rausziehen werden“, bestätigt Michael Voigtländer, Immobilienexperte beim Institut für Wirtschaft in Köln. „Das war die letzten Jahre zwar auch schon zu beobachten gewesen –  häufig, weil es nicht das entsprechende Wohnungsangebot gab. Jetzt dürfte dies vielmehr aus einer inneren Überzeugung heraus erfolgen.“  


Denn vor allem bei vielen Angehörigen der so genannten kreativen Berufe setzt sich die Vorstellung fest, dass es auf dem Land einfacher zugeht. Dass es sich im Garten und am Wald- oder Dorfrand allemal angenehmer arbeiten lässt als im urbanen Lärm und Gestank. Und wer einmal seinen Rechner unter blühenden Kirschbäumen aufgeklappt und einen Text beendet hat, kann das nur bestätigen.


Schon bald stellt die Familie fest: Das dauerhafte Leben auf dem Land ist tatsächlich entspannter. Statt hektischer Runs zur Schule oder lebensgefährlicher Radfahrten durch den städtischen Verkehr geht’s im Dorf lässiger zu. Gäbe es den Lockdown nicht, wären hier allerdings jeden Tag vierzig Kilometer Schulweg mit dem Auto zu bewältigen. Hinzu kämen Fahrten zu Freunden, Sportvereinen und Veranstaltungen – der CO2-Fußabdruck wäre schnell wieder auf Dino-Größe angewachsen.


Stattdessen unterbricht der Schwatz mit dem Nachbarn den schöpferischen Vormittag. Es geht ums Wetter, den Einsatz der Feuerwehr vergangene Woche und die Pflanzsaison. Überhaupt, die Pflanzen: Hinterm Haus erstreckt sich das Gemüsebeet: Zehn mal fünf Meter müssten reichen für Kräuter, Salat, Zwiebeln und Zucchini-Pflanzen. Obstbäume und Beerensträucher säumen den Gartenrand. Was ist schöner und nachhaltiger, als sich von der eigenen Scholle zu ernähren?

 

Schwatz mit den Nachbarn

 

Doch bevor es soweit ist, heißt es: rasieren. Um 10 Uhr steht der Jour Fixe an, anschließend die Zoom-Konferenz mit einem Kunden. Mittlerweile haben die meisten Büromenschen gelernt, ihren Hintergrund so einzustellen, dass Wäscheständer oder ungemachte Betten verschwunden sind, wenn die Konferenz beginnt. Auch das Büro auf dem Dachboden macht was her – solange niemand weiß, dass es ungeheizt ist und allein ein Heizlüfter unterm Schreibtisch den Konferenzteilnehmer in warme Luft hüllt.


Stattdessen: hoffen, dass die Internetbandbreite ausreicht für einen Jour Fixe, zeitgleich für die Schul-App und für die zweite Videokonferenz ein Stockwerk tiefer. Während das Gespräch plätschert, hält das Postauto vor dem Haus. Die Postbotin besteht darauf, Briefe und Pakete nur persönlich abzugeben. Also Kamera aus und Mikro auf stumm – das geht allemal als technisches Problem durch – und rasch auf die Straße. Gleich taucht auch der Nachbar auf, der den Schwatz vom Vormittag fortsetzen will. Wer im Dorf lebt, kann sich dem Austausch nur schwer entziehen.

 

Den Plan macht die Natur

 

Doch schnell zurück zur Videokonferenz – man kommt zu nix! Endlich aber ist Schluss mit lustig: Kaum ist die Konferenz vorbei, müssen die Schulaufgaben kontrolliert werden. Nachmittags geht’s zum Einkaufen in die Stadt, anschließend zum Jäger ein paar Kilometer weiter, der seine Tiefkühltruhe räumt. Erst am frühen Abend ist wieder Zeit, sich an den noch ausstehenden Text zu setzen. Und das am Morgen gelieferte Holz wartet immer noch darauf, zum Trocknen in der Scheune gestapelt zu werden.


Eine von vielen Erfahrungen, die macht, wer aufs Land zieht: Hinter jedem Holzstapel steht jemand, der gestapelt hat. Landidylle heißt zwar Idylle, bedeutet aber auch viel Arbeit. Ein Rasen mäht sich nicht allein, Tomaten wollen gesät und später gewässert werden, das Holz fliegt nicht von selber zum Kamin – und eine vierköpfige Familie verursacht so viel Staub, dass der Staubsaugroboter nur noch widerwillig über die Dielen kriecht.


Der Städter, der mit fliehenden Fahnen in die Natur drängt, vergisst gern, dass diese ihren jahreszeitlichen Fahrplan gnadenlos durchzieht. Winter bleibt Winter – mit Schmutz und Kälte. Im Frühjahr beginnt die Gartenarbeit. Sommer bedeutet Hitze und stundenlanges Wässern – wobei zugleich die Zucchini-Ernte explodiert und das Erdbeerbeet zum Schneckenparadies wird. Der Herbst bringt den großen Überfluss: Pflaumen satt, Äpfel für das ganze Jahr. Und schon ist wieder Winter und Holzzeit. 

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